Kann ein internationales Verbrechen Schutzlücken schließen?
Justus-Liebig-Universität, Gießen.
DOI: https://doi.org/10.60935/mrm2024.29.1.3
Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass von 2030 bis 2050 jedes Jahr mindestens 250.000 Menschen an den Folgen des Klimawandels sterben könnten. Dazu kommen Extremwetterlagen wie Hochwasser, Stürme und Erdbeben, die schon jetzt die Existenzen von Millionen Menschen bedrohen. Auf die weiteren bevorstehenden Veränderungen ist die Welt laut Expert*innen des International Panel on Climate Change nicht vorbereitet Dabei ist spätestens seit den frühen 1990er Jahren international anerkannt, dass ein Zusammenhang zwischen Umweltschutz und der Ausübung von grundlegenden Menschenrechten besteht. In diesem Beitrag soll gezeigt werden, inwiefern die Anerkennung von Ökozid als völkerrechtliches Verbrechen zu einem verbesserten Menschenrechtsschutz führen kann. Zunächst wird der Frage nachgegangen, wie ein entsprechender Tatbestand formuliert werden könnte und welche Herausforderungen sich hierbei stellen. Weiterhin werden die Schutzlücken im System der Menschenrechte in Bezug auf Beeinträchtigungen der Umwelt identifiziert und die Erhöhung des Schutzniveaus durch einen Ökozidtatbestand dargelegt. Dabei wird insbesondere herausgestellt, inwieweit das internationale Strafrecht auf dem Anspruch an die Staatengemeinschaft fußt, vor gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu schützen und diese nicht ungeahndet zu lassen. Im Ergebnis wird hier in Anbetracht der Entwicklung von Klima und Umwelt ein blinder Fleck aufgezeigt, welcher letztendlich Menschen und ihre Rechte gefährdet. Ein Straftatbestand des Ökozids kann hier Abhilfe schaffen.
Keywords: Ökozid, Internationales Strafrecht, Menschenrechte
Citation: Ebbecke, L. (2024). Menschenrechtsverletzungen durch Ökozide. MenschenRechtsMagazin 29. https://doi.org/10.60935/mrm2024.29.1.3.
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Received: 15-12-2023 | Accepted: 11-03-2024 | Published: 12-06-2024
Contents
Umweltzerstörung und menschengemachter Klimawandel1 sind omnipräsent und gefährden neben Tier- und Umwelt auch die Lebensgrundlagen von Menschen.2 Dennoch bleiben getroffene Maßnahmen hinter den zu erreichenden Zielen zurück.3 Das Recht kann hier eine entscheidende Rolle spielen,4 scheint doch der gute Wille von Staaten und Unternehmen bisher nicht auszureichen.5 Da es sich zudem um ein globales Problem handelt,6 werden Forderungen nach einer internationalen Strafbarkeit für Verbrechen an der Umwelt als Ökozid laut.7 Im Folgenden sollen die Herausforderungen bzgl. eines entsprechenden Ökozid Tatbestandes dargestellt sowie die Beeinträchtigung der Menschenrechte als Argument für eine internationale Kriminalisierung von Verbrechen gegen die Umwelt als sog. Ökozid untersucht werden.
Der Begriff „Ökozid“ setzt sich aus dem griechischen Wort oikos (dt.: Heim, Umgebung) und dem lateinischen Wort caedere (dt.: töten) zusammen. Erstmalig verwendete der Biologe Galtson den Begriff 1970, um die Verwendung des giftigen Herbizides Agent Orange durch die US-amerikanischen Streitkräfte im Vietnamkrieg zu verurteilen.8 Galtson betont den „genoziden“ Einfluss von Umweltzerstörungen9 und entspricht damit der Sichtweise des Juristen Lemkin, welcher die Definition von Genozid maßgeblich prägte.10 Lemkin sah das biologische Leben als Teil der Kultur einer Personengruppe an und verstand einen Angriff auf die kulturelle Existenz gleich einem Angriff auf die physische Existenz und vice versa.11 Der Begriff wurde 1972 von Schwedens Premierminister Palme in seiner Rede bei der Weltumweltkonferenz in Stockholm12 wieder aufgegriffen.13 Im Jahr 1978 veröffentlichte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen (United Nations, UN) für Verhütung und Bestrafung von Genozid eine entsprechende Studie, in welcher er Ökozid als „internationales Verbrechen mit Ähnlichkeit zu Genozid“ diskutierte.14 Doch seine und auch die Bemühungen seines Nachfolgers blieben ohne Erfolg.15 Ab 1984 initiierte die Völkerrechtskommission (International Law Commission, ILC) Diskussionen zur Kriminalisierung von Ökozid,16 wonach Umweltverbrechen im Rahmen von Kriegsverbrechen anerkannt wurden.17 Ein ähnliches „ökozentrisches“ Verbrechen normiert Art. 8 Abs. 2 lit. b Nr. 4 Römisches Statut (RS)18. Es folgten weitere Initiativen bzgl. der internationalen Kriminalisierung von Ökozid, allen voran der Anwältin Higgins, die ihren Vorschlag 2010 bei der ILC einreichte.19 Im Jahr 2017 gründeten sie und die jetzige Geschäftsführerin, Mehta die Initiative Stop-Ecocide,20 die 2021 einen Tatbestandsentwurf für das RS veröffentlichte.21 Dieser stellt den wohl aktuellsten und prominentesten Vorschlag dar und wird auf politischer Ebene vielfach beobachtet und begrüßt.22
Die Umwelt und ihr Schutz stellen das internationale Strafrecht vor besondere Herausforderungen. Zum einen kreieren Umweltbeeinträchtigungen zumeist Probleme bezüglich der Jurisdiktion, wenn angesichts der Extraterritorialität von globalen Schäden unklar ist, wer für die Strafverfolgung verantwortlich sein sollte.23 Erschwerend hinzu kommt die Vielzahl an Akteur*innen, Interessenvertreter*innen und die damit verbundenen Koordinationsprobleme.24 Insgesamt neigen Staaten möglicherweise eher dazu, private transnationale Straftaten zu kriminalisieren und zu verfolgen als staatliche oder zwischenstaatliche, wobei die Vielzahl der Orte, an denen private transnationale Verbrechen begangen werden, die Jurisdiktionsfrage ebenfalls aufwirft. Bspw. fehlte den Niederlanden im Trafigura-Fall25 eine Gesetzgebung, die es ihnen ermöglicht hätte, in Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) begangene Taten strafrechtlich zu verfolgen, da weder ihr Hoheitsgebiet noch ihre Staatsangehörigen betroffen waren. Bei der Verfolgung von extraterritorialen Straftaten können Staaten sich außerdem mit dem Verdacht der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten konfrontiert sehen. Darüber hinaus können einige Schäden gar nicht erst lokalisierbar sein, da sie an vielen Orten gleichzeitig auftreten, bspw. die globale Erwärmung. Der transnationale Charakter eines Großteils der Umweltschäden führt auch zu einer permanenten Trennung zwischen Tätern und Opfern und dazu, dass die für den Schaden verantwortlichen privaten Akteur*innen, welche zudem oftmals im globalen Norden angesiedelt sind, vor den realen, wie auch strafrechtlichen Folgen geschützt sind.26
Zum anderen können sich Probleme im Zusammenhang mit dem Bestimmtheitsgrundsatz ergeben.27 In Art. 22 Abs. 2 RS ist der strafrechtliche Grundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ kodifiziert. Eine Ausprägung dieses Grundsatzes ist der Bestimmtheitsgrundsatz. Hinzu kommen außerdem menschenrechtliche Anforderungen an die Bestimmtheit von Straftatbeständen.28 Es stellt sich die Frage, wie die Erscheinungsformen des Ökozids damit zu vereinbaren sind. Für eine strafrechtliche Relevanz auf internationaler Ebene braucht es für die Beeinträchtigungen zudem einen Schwellenwert, der für Ökozid vornehmlich als “widespread“, “long-term“ und “severe“ diskutiert wird.29 Die Begriffe ähneln den Formulierungen im Zusatzprotokoll I zur Genfer Konvention,30 das Umweltkriegsübereinkommen (Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques, ENMOD-Konvention)31, dem ILC Draft Code of Crimes32 sowie Art. 8 Abs. 2 lit. b Nr. 4 RS. Hilfreich könnte hier das Herausstellen besonderer Erscheinungsformen sein, ähnlich dem Vorgehen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der sich nach seiner Rechtsprechung auf Umweltschäden beschränkt, die direkte Auswirkungen auf natürliche Personen haben,33 oder des Internationalen Seegerichtshofes (ISGH), der ausschließlich schwere Beeinträchtigungen der marinen Ökosysteme verfolgt.34 Dem Ansatz, besondere Erscheinungsformen herauszustellen, folgen auch die Expert*innen der University of California (UCLA) in ihrer Definition, welche Umweltverschmutzung an Land, im Meer und der Luft; Zerstörung von Lebensräumen, Ökosystemen und geschützten Arten; gefährliche Abfälle; ozonabbauende Stoffe; persistente organische Schadstoffe und Treibhausgase umfasst.35 Der Entwurf enthält außerdem, ähnlich zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit,36 mit der Formulierung “any other acts of a similar character likely to cause an ecological disaster” einen Auffangtatbestand,37 der den “inhumane acts of a similar character” aus Art. 7 Abs. 1 lit. k RS nachgebildet wurde.38 Dies erscheint im Hinblick auf den Fortschritt der Technologien und die Entwicklung der Wirtschaft auch richtig, denn “one would never be able to catch up with the imagination of future tortures“39.
Das RS kennt verschiedene Vorsatzformen. Zunächst setzt Art. 30 Abs. 2 RS direkten und indirekten Vorsatz als subjektives Element fest, während Art. 30 Abs. 1 RS Abweichungen hiervon zulässt. Solche finden sich in Art. 6 RS, der einen speziellen Vernichtungsvorsatz voraussetzt, um das Töten von einem Genozid zu differenzieren. Andere Vorsatzformen sind beispielsweise “was aware of” aus Art. 7 Abs. 1 RS und Art. 8 Abs. 2 lit. a Nr. 2 RS sowie “Intentionally […] in the knowledge” aus Art. 8 Abs. 2 lit. b Nr. 4 RS. Eine Zerstörungsabsicht i. S. d. Art. 6 RS der gesamten oder partiellen Umwelt, wie sie den Kritiker*innen logisch erscheinen würde,40 wäre, wenn überhaupt, wohl schwer nachzuweisen.41 Dies schließt auch den direkten Vorsatz i. S. d. Art. 30 Abs. 2 lit. a RS aus. Ein indirekter Vorsatz i. S. d Art. 30 Abs. 2 lit. b 2. Alternative RS würde demgegenüber lediglich Wissen darüber voraussetzen, dass die erforderlichen Schäden bei gewöhnlichem Verlauf der Ereignisse eintreten werden. Auch dies erscheint nicht zielführend im Hinblick auf die oft unvorhersehbaren Konsequenzen eines Verhaltens für die Umwelt.42 Während Art. 8 Abs. 2 lit. b Nr. 4 RS mit der Anforderung des Wissens über die Unverhältnismäßigkeit teilweise als zu eng kritisiert wird,43 machen niedrigere Anforderungen wie Dolus eventualis korrigierenden Einschränkungen erforderlich.44 Hier könnte das einschränkende Merkmal wanton, nämlich “with reckless disregard for damage which would be clearly excessive in relation to the social and economic benefits anticipated”45, die geforderte Einschränkung des Eventualvorsatzes bilden. Damit dies jedoch hinter dem als zu eng charakterisierten Wissen nach Art. 8 Abs. 2 lit. b Nr. 4 RS zurückbleibt, wäre eine Modifikation zu “should have known or counsciously disregarded information which clearly indicated that the damage would be clearly excessive in relation to the social and economic benefits anticipated”, angelehnt an die Vorgesetztenverantwortlichkeit aus Art. 28 lit. a Nr. 1 RS und Art 28 lit. b Nr. 1 RS denkbar. Dies entspräche auch dem ursprünglichen Entwurf von Higgins, welche die Strafbarkeit ebenfalls auf die Vorgesetztenverantwortlichkeit stützte.46 So können i. S. d. Art. 28 RS insbesondere Vorgesetzte mit politischer, militärischer, rechtlicher und administrativer Macht belangt werden.47 Dennoch bedarf es einer Auseinandersetzung, ob darunter auch Spätfolgen einer neuartigen Technik, die gravierender als zunächst erwartet ausfallen, zu verstehen sind.48 Weiterhin wird bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit zu fragen sein, auf wessen Betrachtungsweise abzustellen ist.49 In der Konstellation Staat-Unternehmen-Nachbarstaat werden bspw. alle Akteur*innen unterschiedliche Gewichtungen für den wirtschaftlichen Nutzen wie auch für die Schwere der Umweltschäden geltend machen.
Der Zusammenhang zwischen Umwelt und Menschenrechten wird spätestens seit der Stockholm-Konferenz 1972 auf internationaler Ebene diskutiert.50 Der Bericht der UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte und Umwelt von 1994 legt die Gefährdung grundlegender Menschenrechte durch Umweltbeeinträchtigungen dar.51 Der UN-Menschenrechtsrat erkennt den negativen Effekt des Klimawandels für die Menschenrechte an und betont in seiner 2021 verabschiedeten Resolution die Gefahr für die Menschenrechte durch Beeinträchtigungen der Umwelt.52 Das International Panel on Climate Change (IPCC) benennt den Klimawandel wiederholt als eine der größten Herausforderungen für die Menschenrechte.53 Im Folgenden sollen insbesondere durch Ökozid betroffene Menschenrechte herausgestellt und Schutzlücken im bestehenden Menschenrechtssystem aufgezeigt werden.
Das Recht auf Leben ist in Art. 3 AEMR54, Art. 2 EMRK und Art. 6 IPbpR verankert. Der EGMR aktiviert im Umweltkontext zumeist Art. 2 und 8 EMRK gemeinsam, um Schutz gegen Bedrohungen des Lebens oder der Gesundheit abzuleiten, welche von Umweltverschmutzung, umweltgefährdenden Tätigkeiten und Naturkatastrophen ausgehen.55 Art. 2 EMRK findet Anwendung, sofern Staaten von einem “real and immediate” oder “serious” Risiko für das Leben wussten oder hätten wissen müssen,56 und entfaltet dann eine Handlungspflicht bzgl. der Vermeidung dieses Risikos.57 Der UN-Menschenrechtsausschuss (MRA) leitet aus Art. 6 IPbpR eine Schutzpflicht für Staaten ab, welche das Treffen von Schutzmaßnahmen gegen Umweltverschmutzung und Klimawandel beinhaltet.58 Ähnlich wie der EGMR sieht auch der MRA eine mögliche Bedrohung des Privat- und Familienlebens durch Umweltverschmutzung, was zu einer Verletzung von Art. 17 IPbpR führen könne.59 Der Klimawandel stellt laut UN-Vertragsorganen eine Gefährdung für das Recht auf Leben und Gesundheit dar,60 der UN-Kinderrechtsausschuss sieht ihn als größte Bedrohung für die Gesundheit von Kindern.61 Die Auswirkungen des Klimawandels führen laut IPCC zu mehr Todesfällen durch Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürren und Epidemien.62 Laut Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) beeinflusst der Klimawandel die sozialen und ökonomischen Gesundheitsfaktoren, was zwischen 2030 und 2050 zu einem Anstieg der weltweiten Todesfälle um 250.000 pro Jahr führen könnte.63 Zusätzliche Risikofaktoren für das Recht auf Leben resultieren aus Umweltbeeinträchtigungen wie Luft- und Wasserverschmutzung sowie aus durch Nahrung übertragbare Krankheiten.64
Der Sozialausschuss schließt in das Recht auf Gesundheit aus Art. 12 IPwskR65 die Verfügbarkeit, den Zugang und die Qualität der Gesundheitsversorgung sowie sauberes Trinkwasser, sanitäre Einrichtungen und eine angemessene Versorgung mit Lebensmitteln ein.66 Das Recht auf Nahrung aus Art. 11 IPwskR verpflichtet den Staat sicherzustellen, dass die Bevölkerung über Nahrung in ausreichender Qualität und Quantität verfügt.67 Laut IPCC gefährdet der Klimawandel die Sicherheit von Nahrung und Trinkwasser.68 Das Recht auf menschenwürdige Behandlung aus Art. 3 EMRK schützt vor negativen körperlichen Einwirkungen aus der Umwelt für den Körper, sofern diese eine bestimme Schwere erreichen.69 Eine solche Behandlung kann laut MRA auch die Abschiebung in ein vom Klimawandel betroffenes Land darstellen.70
Die Erweiterung von Eigentumsrechten auf die Umwelt hat bereits Einzug in die Rechtsprechung des EGMR71 und des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (IAGMR)72 gehalten. Der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Committee on Economic, Social and Cultural Rights, CESCR) hat im Dezember 2022 außerdem die Allgemeine Bemerkung Nr. 26 verabschiedet, welche sich mit den staatlichen Pflichten bzgl. Zugang und Kontrolle von Land beschäftigt, die zur Sicherung der Rechte des IPwskR dienen.73 Dieser Ansatz des CESCR, Land als eine Ressource einzuordnen und die Beziehung der Menschen dazu als Eigentumsverhältnis, könnte jedoch eine verpasste Chance sein den Menschenrechtsschutz dadurch voranzutreiben, die Rechte der Natur selbst anzuerkennen.74 Darüber hinaus sichert Abkommen Nr. 16975 der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften (Indigenous Peoples and Local Communities, IPLC) territoriale Rechte zu und auch die UN stärken diese mit der Deklaration der Rechte indigener Völker (Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, UNDRIP)76. Territoriale und auch weitere Menschenrechte insbesondere von IPLC werden durch Umweltbeeinträchtigungen massiv gefährdet, da ihre Identität und Kultur eng mit der Umwelt verbunden sind.77
Der Zusammenhang zwischen Ökozid und Menschenrechtsverletzungen ist evident und international bereits seit Jahrzehnten anerkannt. Das bestehende System der Menschenrechte weist jedoch Schutzlücken im Zusammenhang mit Umweltbeeinträchtigungen auf.
Bspw. fehlt ein verbindlich ausgestaltetes Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt, das den intrinsischen Wert der Natur für den Menschen berücksichtigt und dementsprechend bereits Umweltbeeinträchtigungen als solche als Rechtsverletzung ansieht. Stattdessen wird versucht, den Schutzgehalt bestehender Menschenrechte auf den Schutz der Umwelt auszuweiten. Man spricht auch von einem “greening“78 der Menschenrechte, konkret der Erweiterung der Menschenrechte um Umweltgarantien, wie oben in Bezug auf das Recht auf Leben und Gesundheit bzw. territoriale Rechte beschrieben. Dem zugrunde liegt der Gedanken, dass der Schutz von Menschenrechten von der Umwelt abhängig ist.
Daraus folgt jedoch gleichzeitig, dass Klagen wegen mangelnden Zusammenhangs von Umweltbeeinträchtigungen und direkten Menschenrechtsverletzungen abgewiesen werden.79 Dies stellt für ohnehin vulnerable Gruppen, wie bspw. Frauen und Menschen mit Behinderung,80 eine Schutzlücke dar. Ihre Vulnerabilität81 wird durch Umweltbeeinträchtigungen verstärkt und so die Gefahr für und die tatsächliche Verletzung von ihren Menschenrechten gesteigert.82
Dennoch wird überwiegend an der anthropozentrischen Ausrichtung der Menschenrechte festgehalten. Hier kann die generelle Kritik an den Menschenrechten bzgl. ihrer Orientierung an westlichen Werten und der damit verbundenen schwachen rechtlichen Stellung der Natur angebracht werden.83 Insbesondere für IPLC stellt dies eine Schutzlücke dar.84 Sie sehen sich, ihr Territorium und ihre Ressourcen zumeist von großen Industrien bedroht,85 die nur mittelbar an die Menschenrechte gebunden sind.86 Zudem ergibt sich aus der Zerstörung der Umwelt, die für IPLC per se einen brutalen Eingriff darstellt,87 für sich genommen noch keine Menschenrechtsverletzung und mithin keine Aussicht auf Schutz vor den Gerichten. Die von IPLC erlebten sozialen, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Ungerechtigkeiten werden in der Rechtswissenschaft und so auch in den Menschenrechten noch immer zu großen Teilen ignoriert.88
Herausforderungen für den Menschenrechtsschutz ergeben sich außerdem aus dem Umstand, dass nicht nur Individuen, sondern ganze Gruppen in gleicher Weise in ihren Menschenrechten betroffen sind.89 Kollektive Menschenrechte wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker finden sich zwar in verschiedenen Menschenrechtsdokumenten,90 der Schutzbereich sowie die Durchsetzungsmöglichkeiten sind jedoch nicht abschließend geklärt.91
Geflüchtete Menschen sind nicht nur besonders vulnerabel gegenüber Ökoziden, bzw. durch Ökozide zur Flucht gezwungen.92 Ihre Rechte werden dadurch eingeschränkt, dass sie bei einer Flucht aufgrund von Umweltbeeinträchtigungen nicht als Geflüchtete sondern lediglich als Vertriebene anerkannt werden,93 was die oftmals westlichen Zielländer, die ihrerseits überproportional Ökozide verursachen, aus der Verantwortung zur Aufnahme und zum Schutz ihrer Menschenrechte nimmt.94
Für Kinder und zukünftige Generationen werden bereits jetzt die Grundsteine für zukünftige Menschenrechtsverletzungen durch Maßnahmen für die Eindämmung der und den Umgang mit den Auswirkungen von Ökoziden gelegt, welche mittelbare Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte bedeuten können.95 Auch für sie besteht bisher kein ausreichender Schutz durch die Menschenrechte, obwohl das Konzept der Generationengerechtigkeit mindestens seit dem Brundtland-Bericht von 1987 international anerkannt ist.96 Die Existenz einer Gefahr für zukünftige Menschenrechtsverletzungen durch gegenwärtige Ökozide wird zwar teilweise von Gerichten anerkannt, eine Verletzung subjektiver Rechte dadurch wird jedoch entweder nicht gesehen oder den Staaten ein weiter Ermessensspielraum bzgl. der Ausgestaltung etwaiger Schutzpflicht eingeräumt.97 Für den Schutz von Art. 2 und 8 EMRK muss der Staat bspw. keine Maßnahmen ergreifen, die eine “impossible or disproportionate” Last bedeuten würden.98 Das bedeutet jedoch, dass andere Interessen ein Gegengewicht zu Umwelt- und Menschenrechtsschutz bilden können. Der EGMR sieht zudem Staaten als die passenden Akteure für das Abwägen von Interessen von Individuen, deren Rechte durch Umweltbeeinträchtigungen eingeschränkt werden, gegen Interessen der Gesellschaft als Ganzes.99 Dies bedeutet im Ergebnis eine Selbstbeschränkung der Menschenrechtsgerichte und mithin des Menschenrechtsschutzes.100
Den Staaten des globalen Nordens kommt zudem eine besondere Machtstellung zu. Sie profitieren von den Ökozide auslösenden Faktoren und Handlungen am meisten und sind gleichzeitig am wenigsten von den Auswirkungen betroffen. Derzeit sind die G20-Staaten für über 75 % der jährlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich101 und auch historisch betrachtet sind die größten Emittenten seit der industriellen Revolution die derzeit reichsten Länder.102 Auch Art. 3 UNFCCC berücksichtigt die verschieden große Verantwortung der Staaten und die besondere Vulnerabilität der Staaten des globalen Südens. Diesen fehlen zudem ausreichend Ressourcen und Möglichkeiten, um sich angemessen anpassen und die Menschenrechte ihrer Bevölkerung schützen zu können.103 Mithin wird ein Zusammenhang zwischen kolonialen Strukturen und Umweltbeeinträchtigungen, insbesondere dem Klimawandel gesehen.104 Dieser perpetuiert die Auswirkungen des Kolonialismus und hat Diskriminierungen zur Folge.105 Im Ergebnis führt dies zu Fluchtbewegungen vom globalen Süden in den globalen Norden, also hin zu den Verursacherstaaten, welche sich aufgrund der Nichtanerkennung von Ökozid als Fluchtgrund jedoch weiter aus der Verantwortung ziehen können.106
Zunächst ist festzuhalten, dass Strafrechtsnormen aufgrund der an sie geknüpften Sanktionen einen starken Eingriff für Betroffene darstellen und dem Strafrecht mithin eine Ultima ratio-Funktion zukommt; dies würde auch für eine Strafbarkeit wegen Verbrechen gegen die Umwelt gelten. Die Umwelt hat jedoch einen intrinsischen Wert für das Wohlergehen der Menschheit und mithin die Garantie der Menschenrechte. Dadurch wird die Umwelt zu einem für den Menschen unentbehrlichen Gut, das angesichts der aufgeführten Schutzlücken effektiver und umfangreicher geschützt werden muss.
Strafrecht dient dem Rechtsgüterschutz.107 Dafür sollen das Vertrauen in die Rechtsordnung gestärkt werden, potentielle Delinquente von der Begehung von Straftaten abgehalten und die Gesellschaft vor überführten Straftäter*innen geschützt werden.108 Das Strafrecht und so auch das Völkerstrafrecht verfolgen mithin unbestritten auch präventive Zwecke.109 Bisher sind Rechtsordnungen jedoch so konzipiert, dass sie die menschliche Dominanz über die Natur perpetuieren.110 Eine ökozentrische Straftat, die in ihrer Anwendung keine Abwägungen zulässt und gleichzeitig präventiv wirkt, spiegelt eine gegenseitig vorteilhafte Beziehung zwischen Menschen und Natur eher wider. Nicht nur wird der Natur und ihrer Unversehrtheit als Rechtsgut mangels möglicher Abwägung gegen andere Interessen eine stärkere Stellung eingeräumt. Eine stärkere Prävention von Umweltverbrechen entspricht auch einem der zentralen Prinzipien des Umweltvölkerrecht, welches Prävention ebenfalls als wirksamsten Schutzmechanismus für Natur und Umwelt ansieht.111
Aufgrund der Präventivwirkung des Völkerstrafrechts kann schon die Schaffung eines Ökozidtatbestands allein unabhängig von der tatsächlichen Verfolgung das Schutzniveau für die Umwelt und mithin die Menschenrechte erhöhen, denn bereits die Strafandrohung kann potenzielle Täter*innen und Teilnehmer*innen von der Tat abhalten. Nicht nur bringt das Strafrecht Instrumente wie strafrechtliche Sanktionen, Stigmatisierung, gerichtliche Reichweite und die Verpflichtung zur Verfolgung mit sich. Sogar weitaus größer kann der soziale und kulturelle Wert der Anerkennung als Verbrechen sein, der zumeist auch gesellschaftliche Aufmerksamkeit einfordert.112
Im Vergleich zu dem “naming and shaming“-Mechanismus des Menschenrechtsschutzes oder der Verurteilung von Staaten zu einem Verhalten stellen drohende Individualfreiheitsstrafen einen deutlich größeren Anreiz zur Normbefolgung dar.113 Ein weiterer Vorteil gegenüber dem System der Menschenrechte besteht darin, dass ein ökozentrisch ausgerichtetes Verbrechen nicht an eine Verletzung von Individualinteressen i. S. d. Menschenrechte gebunden ist. So können die Positionen vulnerabler Gruppen gestärkt werden, da ein Prozess von Amts wegen eingeleitet wird und nicht von der Position bzw. der Existenz eines „Opfers“ abhängig ist.
Zudem könnte eine Strafbarkeit wegen Ökozid auch auf Verantwortungsträger*innen von Unternehmen ausgeweitet werden. Auch hier besteht eine gegenüber haftungsrechtlichen Regelungen vorteilhaftere Steuerungswirkung. So können Strafzahlungen bei Vertragsbruch wirtschaftlich abgewogen werden, Individualfreiheitsstrafen nicht. Dies entspricht auch dem internationalen Umweltrecht, welches das Präventionsprinzip als wirksamstes Instrument priorisiert114 und erscheint auch für den Menschenrechtsschutz effektiv, da Menschenrechtsverletzungen nicht umkehrbar sind, sodass Prävention ein höherer Schutzgehalt zukommt.
Zwar ist auch die Ultima-ratio-Funktion des Strafrechts nicht außer Acht zu lassen, in Anbetracht der oben dargestellten Beeinträchtigung der Menschenrechte erscheint ein Gebrauchtmachen von dieser Funktion aber verhältnismäßig. Es wird kritisiert, dass Strafrecht allein nicht in der Lage sei, eine komplexe gesellschaftliche Reform zu vollziehen, die zur nachhaltigen Bekämpfung von Ökozid nicht nur individuelles Verhalten sondern ganze Wirtschaftssektoren verändern müsste.115 Es ist hier zu beachten, dass Kriminalisierung, gerade auf internationaler Ebene, auch eine historische Bedeutung entfaltet.116 Im Fall von Ökozid würde die internationale Strafbarkeit den Zeitpunkt der eindeutigen Abkehr und Verurteilung von Massenvernichtung der Umwelt und daraus resultierende Verletzungen der Menschenrechte markieren.
Bei der Verfolgung der Verbrechen, die das RS enthält, soll es insbesondere um einen Beitrag zu Frieden und Sicherheit auf der Welt gehen.117 Dabei soll der IStGH ein letztes Mittel der Strafgerichtsbarkeit darstellen und Lücken schließen, wo nationale Gerichte nicht willens oder nicht fähig sind eigene Verfahren zu führen, was gleichzeitig ein Druckmittel für eine nationale Strafverfolgung darstellen kann.118 Eine internationale Strafbarkeit ermöglicht hier zum einen die Loslösung von nationalen Interessen durch eine übergeordnete Gerichtsbarkeit, die den Umwelt- und Menschenrechtsschutz so von der Interessenabwägung des Umweltrechts befreien und mithin effektiver und im Sinne der Staatengemeinschaft durchsetzen kann.119 Zum anderen beeinflusst eine internationale Strafbarkeit die nationale Rechtssetzung. Insbesondere die Gründungsmitglieder des RS sind angehalten, einen neuen Straftatbestand in die nationalen Völkerstrafgesetzbücher aufzunehmen und sich auch in ihrer Außenpolitik weiter für ein Vorgehen gegen Ökozid einzusetzen.120 Ein entsprechender Tatbestand im RS würde mithin einen Einsatz gegen Ökozid in nationaler Strafgesetzbarkeit und Außenpolitik mit sich bringen.
Das internationale Völkerstrafrecht soll außerdem bereits dem Menschenrechtsschutz selbst dienen. Primär bildet der Menschenrechtsschutz zwar eine staatliche Aufgabe, diese obliegt subsidiär jedoch auch der internationalen Gemeinschaft als im Grundsatz anerkannte Responsibility to protect.121 Dabei handelt es sich zunächst um eine Schutzverantwortung des Einzelstaates, welche auf die internationale Staatengemeinschaft ausgeweitet werden soll, sofern der betreffende Staat nicht willens oder fähig ist, der Schutzverantwortung gerecht zu werden.122 Kritiker*innen sehen darin eine Verletzung des Interventionsverbots sowie eine neokoloniale Gefahr - mangels eines Konsenses über die Bedingungen der Geltendmachung des Prinzips könne schon keine Neutralität und mithin keine Legitimität des Prinzips bestehen.123 Unstrittig ist jedoch eine generelle Pflicht des Staates, seine Bevölkerung zu schützen, die insbesondere aus dem umfassenden System der Menschenrechte abgeleitet werden kann.124 Insofern legitimiert Menschenrechtsschutz auch Völkerstrafrecht. Dessen Ultima-ratio-Funktion bleibt jedoch bestehen, weshalb es ausschließlich zur Anwendung kommt, sofern die übrigen Schutzmechanismen versagen.125 Dies scheint nach den obigen Ausführungen zum Menschenrechtsschutz, insbesondere der dargestellten Schutzlücken, der Fall zu sein und spricht für die Errichtung eines entsprechenden Tatbestandes.
Weiterhin schützt das Völkerstrafrecht laut Präambel des RS den Frieden, die Sicherheit und das Wohlergehen der Welt als die höchsten Güter der Staatengemeinschaft. Massive Menschenrechtsverletzungen in einem Staat können eine Bedrohung des Friedens darstellen und mithin ein Schutzgut des RS gefährden.126 Zwar ist eine eigene Bedeutung des Wohls der Welt als Schutzzweck zweifelhaft, denkbar ist jedoch, dass darunter über die engeren Begriffe des Friedens und der Sicherheit hinaus auch die Verteilung von grundlegenden Ressourcen als Schutzgut der Völkergemeinschaft eingeordnet wird.127 Die natürlichen Ressourcen und insbesondere ihre Verteilung sind durch Ökozide massiv bedroht, was durch die obigen Ausführungen zu den territorialen Menschenrechte und Eigentumsrechten deutlich wird. Ressourcenknappheit und Klimawandel können zudem Instabilität und Konflikte hervorrufen oder verstärken; dies stellt wiederum eine Bedrohung des Weltfriedens dar.128 Zudem soll der IStGH seine Jurisdiktion über die schwersten Verbrechen laut Präambel des RS auch “for the sake of present and future generations”129 innehaben. Wie oben beschrieben steht ein Ökozidtatbestand aufgrund der Auswirkungen in der Zukunft insbesondere im Interesse von zukünftigen Generationen und ist von Bedeutung für die zukünftige Ausübung ihrer Menschenrechte. Es besteht mithin eine Gefährdung der durch das RS zu schützenden Gütern durch Ökozid. Auch dies spricht für die Schaffung eines entsprechenden Tatbestandes.
Daneben bestehen pragmatische Gründe für das RS als richtiges Dokument für einen Ökozidtatbestand, bietet doch der IStGH einen politisch, wirtschaftlich und prozessrechtlich bereits etablierten Rahmen.130 Neben der Strafverfolgung können außerdem objektive Tatsachenberichte geschaffen werden, die für die politischen Debatten entscheidend sind sowie den Betroffenen eine aktive Teilhabe am Prozess ermöglichen, um ihnen unabhängig von einer Verurteilung zu einem Gefühl von Gerechtigkeit zu verhelfen.131
Weiterhin ist die Möglichkeit der universellen Strafverfolgung anzuführen. Als fünftes Verbrechen im RS würde Ökozid zu den völkerrechtlichen Kernverbrechen gehören. Für diese gilt das Weltrechtsprinzip. Das ergibt sich zum einen daraus, dass die Strafbarkeit nicht an das Rückwirkungsverbot gekoppelt ist, was sich mit Art. 7 EMRK und Art. 15 IPbPR belegen lässt; zum anderen aus Art. 25 RS, welcher klarstellt, dass die unmittelbare Verantwortlichkeit für die Kernverbrechen des Statuts bereits im Völkerrecht verankert ist. Diese universelle Strafbarkeit führt dazu, dass nationale Gerichte internationale Jurisdiktion ausüben können und nicht mehr nur tätig werden, um eigene hoheitliche Interessen durchzusetzen.132 Hier kann angemerkt werden, dass das Weltrechtsprinzip ausschließlich für Völkergewohnheitsrecht gilt und das RS bei seiner Verabschiedung bereits bestehendes Völkergewohnheitsrecht kodifizierte. Mithin würde die Einführung eines Ökozidtatbestandes diesen nicht automatisch zu Völkergewohnheitsrecht erstarken lassen.133 Die Bestimmung der vom Weltrechtsprinzip erfassten Delikte stellt jedoch ohnehin die Schwierigkeit der Anwendung des Prinzips dar, welche mit weiteren Kriterien überwunden werden soll.134 Diese sind bspw. Nationalgrenzen überschreitende Auswirkungen, die Gefährdung völkerrechtlicher Schutzgüter durch die Bedrohung des weltweiten Friedens, oder eine Regelung der strafrechtlichen Bekämpfung in zahlreichen internationalen Verträgen, woraus ein Konsens bzgl. einer internationalen Strafverfolgung abgeleitet werden kann.135 Die dargestellten Folgen von Ökozid wie auch Vorstöße auf EU-Ebene136 und in nationalen Rechtsordnungen137 sowie das Policy Paper des IStGH138 lassen auf einen Konsens bzgl. einer internationalen Strafverfolgung schließen. Wie oben bereits dargestellt machen die Auswirkungen von Ökoziden außerdem nicht vor Nationalgrenzen Halt und bedrohen insbesondere die nach der Präambel des RS durch das Völkerstrafrecht zu schützenden Güter der Staatengemeinschaft. Zudem geht es um die strafrechtliche Verteidigung der von der Staatengemeinschaft als gemeinsam anerkannten Werte. Anknüpfungspunkt ist dabei die Achtung der fundamentalen Menschenrechte, wobei das Menschenrecht auf effektiven Zugang zu Justiz ebenfalls eine normative Stütze des Weltrechtsprinzips bildet.139 Dies spielt auch hier eine entscheidende Rolle, denn durch die strafrechtliche Verfolgung von Ökozid kann internationales Recht weiter „dekolonialisiert“ werden.140 IPLC werden durch Ökozide nicht nur an eine koloniale Vergangenheit erinnert. Ihr Zugang zur Justiz ist bereits aufgrund ihrer marginalisierten Stellung und des Mangels an ökozentrischen Sichtweisen im Recht erschwert. Demnach scheint die Anwendung des Weltrechtsprinzips auch auf einen neu zu fassenden Ökozidtatbestand im RS gerechtfertigt, wodurch eine universelle Strafverfolgung möglich wäre, was wiederum ein zusätzliches Argument für die Schaffung eines entsprechenden Tatbestandes im RS darstellt.
Weiterhin könnte der generellen Kritik gegenüber internationalem Strafrecht, auf Personen aus dem globalen Süden fokussiert zu sein, begegnet werden. Denn Ökozide werden, wie oben ausgeführt, überwiegend von Menschen aus dem globalen Norden begangen, die durch einen entsprechenden Tatbestand stärker in den Fokus der Strafverfolgung gerückt werden könnten.141
Schließlich entstünde ohne einen Ökozidtatbestand ein blinder Fleck im internationalen Strafrecht, würde zwar direkter Schaden gegen Menschen und Menschenrechte bestraft, die Zerstörung der Umwelt von der alles Leben abhängt aber ignoriert.142 Völkerrechtsverbrechen betreffen die internationale Gemeinschaft als Ganzes.143 Beeinträchtigungen der Umwelt wirken sich immer auf die gesamte Umwelt aus und mithin auf die internationale Gemeinschaft als Ganzes. Menschenrechtsschutz ist eine globale Herausforderung. Globale Herausforderungen verlangen nach globalen Lösungen.144 Das RS kann mithin als richtiges Instrument für den Menschenrechtsschutz vor Ökoziden bewertet werden.
Vorliegend konnten sowohl Schutzlücken im System der Menschenrechte aufgezeigt werden, die durch die zunehmenden Beeinträchtigungen der Umwelt das internationale Recht auch zukünftig vor Herausforderungen stellen werden. Die Aufnahme von Ökozid als Tatbestand konnte hier als ein mögliches Mittel zur Schließung dieser Schutzlücken angeführt werden. Herauszustellen sind insbesondere die Präventivwirkung des Strafrechts, da Prävention auch im Umweltrecht als effektivste Variante des Umweltschutzes anerkannt ist sowie die menschenrechtliche Schutzfunktion des Völkerstrafrechts. Identifizierte Lücken des Menschenrechtsschutzes wie die Einschränkung durch den direkten Zusammenhang zwischen Umweltbeeinträchtigungen und Verletzung von Menschenrechten, die überwiegende Viktimisierung und Gefährdung von vulnerablen Gruppen sowie die fehlende Beachtung von indigenen Perspektiven könnten durch ein ökozentrisches Kernverbrechen überwunden werden. Dem Nutzen stehen jedoch die oben genannten Herausforderungen gegenüber. Diese bestehen bereits bzgl. der Definition eines Tatbestandes und werden sich wohl auch durch den Erweiterungsprozess des Statuts ziehen, wie schon die Einführung des Art. 8bis RS zeigte. Dafür spricht jedoch auch die große Symbolkraft der Kernverbrechen, die auch als Argument für einen Ökozidtatbestand angeführt werden kann. So würde eine Aufnahme eines Ökozidtatbestandes auch ein wichtiges Signal dahingehend senden, dass Umwelt- und Klimaschutz nicht mehr als verhandelbar gelten können, was im Übrigen dem Stand der Forschung entspricht. Ein Ökozidtatbestand im Römischen Statut kann daher aufgrund seiner stigmatisierenden und präventiven Wirkung als ein wichtiger Schritt identifiziert werden, um den Menschenrechten und damit auch dem Umweltschutz den ihnen gebührenden Stellenwert im Entscheidungsprozess über Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen zu geben, der bislang vor allem von ökonomischen Analysen geprägt ist.145
Im Folgenden ist mit Klimawandel stets der anthropogene Klimawandel, also die menschengemachte Veränderung unseres Klimasystems – zum Großteil bedingt durch den Ausstoß an Treibhausgasen (z. B. CO2), gemeint.
IPCC, Climate Change 2023: Synthesis Report, S. 12.
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Die Konferenz der UN über die Umwelt des Menschen oder auch Weltumweltkonferenz fand vom 5. bis 16. Juni 1972 in Stockholm statt, war die erste Konferenz der Vereinten Nationen zum Thema Umwelt und gilt als Beginn der internationalen Umweltpolitik.
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Gem. Art. 15 Abs. 1 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966, UNTS Bd. 999, S. 171; BGBl. 1973 II, S. 1534 und Art. l7 Abs. 1 Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 4. November 1950, UNTS Bd. 213, S. 221, darf nur ein hinreichend klares und bestimmt formuliertes Gesetz einen Straftatbestand bilden; siehe zur Auslegung des Art. 7 Abs. 1 EMRK; EGMR, Kokkonakis ./. Griechenland (14307/88), Urteil vom 25. Mai 1993, Rn. 52; EGMR, S.W. ./. Vereinigtes Königreich (20166/92), Urteil vom 22. November 1995, Rn. 35; EGMR, C.R. ./. Vereinigtes Königreich (20190/92), Urteil vom 22. November 1995, Rn. 33; EGMR, Streletz u.a. ./. Deutschland (34044/96; 35532/97; 44801/98), Urteil vom. 22. März 2001, Rn. 50.
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Art. 34 EMRK.
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UN Dok. A/Res/61/295, bspw. Art. 8 Abs. 2 lit. b, Art. 10, 26.
Nils Wegner, Subjektiv-rechtliche Ansätze im Völkerrecht zum Schutz biologischer Vielfalt, Schriften zum Umweltrecht, 187, 2018, S. 159 f.; siehe hierzu auch: Andreas Buser, Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen und die Klimakrise – Die Entscheidung Billy et al. gegen Australien und ihr Beitrag zur „Begrünung" des Menschenrechtsschutzes, in: MenschenRechtsMagazin 28 (2023) 1, S. 74–84 (76 ff.).
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Itzá Castañeda Camey et al., Gender-based violence and environment linkages. The violence of inequality, 2020, S. 6 ff., 32, 74 f.; UN Dok. A/HRC/50/57, Rn. 14.
Hierzu auch Catharina Caspari, Situative Vulnerabilität als Ausdruck der Menschenrechtssprache?, in: MenschenRechtsMagazin 28 (2023) 1, S. 5–15 (5 ff.).
UN Dok. A/HRC/50/57, Rn. 4 f.
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Averi R. Fegedal, Green Victimization of Native Americans: Uranium Mining as a Form of Toxic Colonialism and Genocide, in: Critical Criminology 31 (2023), S. 489–505 (489).
Das Recht findet sich im gemeinsamen Art. 1 des IPbpR und des IPwskR, sowie in der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945, UN Conference on International Organization Documents Bd. 15 (1945), S. 335, in der zuletzt geänderten Fassung vom 20. Dezember 1971, UNTS Bd. 557, S. 143; 638, S. 308; 892, S. 119; BGBl. 1973 II, S. 431; 1974 II, S. 770; 1980 II, S. 1252.
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Ibid, S. 7.
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Siehe Absatz 9 der Präambel.
Max Adam Wiedermann, Verfolgung und Aburteilung von Kriminalität mit Staatsgrenzen überschreitender Relevanz. Eine Analyse von internationalen und europäischen Instrumenten, mit besonderem Blick auf deren Effizienz, 2020, S. 266.
David Diehl, Zivilrechtliche Haftung für schwere Völkerrechtsverletzungen nach dem Weltrechtsprinzip, 2021S. 141.
So bspw. Wagner (Fn. 6), S. 480; Kai Ambos, Internationales Strafrecht. Strafanwendungsrecht, Völkerstrafrecht, Europäisches Strafrecht, Rechtshilfe, 5. Aufl. 2018, § 5 Rn. 6; Fronza (Fn. 117), S. 97.
Kai Ambos, in: Volker Erb/Jürgen Schäfer (Hrsg.), Münchner Kommentar zum StGB, Band 9: Völkerstrafrecht, 4. Auflage 2023, § 1 Rn. 9.
Richtlinie 2008/99/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, ABl. L 328/28 vom 6. Dezember 2008, S. 91.
Stop Ecocide Foundation, Leading States, Key Dates, abrufbar unter: https://www.stopecocide.earth/leading-states (zuletzt besucht am 5. Februar 2024).
IStGH (OTP), Policy paper on case selection and prioritization, 15. September 2016, Rn. 40 f.
Ibid.
Ibid.
Absatz 4 und 9 der Präambel; Art. 5 Abs. 1 und Art. 1 Römisches Statut; vgl. auch IStGH (TC), Katanga, Urteil vom 7. März 2014 – ICC-01/04-01/07-3436, Rn. 1382, 1394 ff.
John C. Shideler/Jean Hetzel, Introduction to Climate Change Management. Transitioning to a Low-Carbon Economy, 2021, S. 232.